von Paul Thiry d´Holbach
System der Natur
Mai 11, 2009 von Charlie Brown
Wenn die Menschen den Mut hätten, der Quelle der Anschau-
ungen, die sich ihrem Gehirn am tiefsten eingeprägt haben,
nachzuspüren, wenn sie sich genaue Rechenschaft über die
Gründe ablegten, denen zufolge sie diese Meinungen als gehei-
ligt betrachten; wenn sie unerschrocken die Beweggründe ihrer
Hoffnungen und ihrer Befürchtungen untersuchen würden: so
müßten sie feststellen, daß die Gegenstände oder die ldeen, von
denen sie gewöhnlich am stärksten berührt werden, oft nicht
real und nur sinnlose Wörter oder Phantome sind, die durch
Unwissenheit erzeugt und durch eine kranke Einbildungskraft
modifiziert worden sind. Ihr Geist arbeitet hastig und zerfah-
ren inmitten des Wirrwarrs der intellektuellen Fähigkeiten, die
durch die Leidenschaften gestört werden, welche die Menschen
daran hindern, richtig zu überlegen oder für ihre Urteile die Er-
fahrung zu Rate zu ziehen. Versetzt man ein empfindungsfähi-
ges Wesen in eine Natur, deren gesamte Teile in Bewegung
sind, so wird es auf Grund der angenehmen oder unangeneh-
men Wirkungen, die es erfahren muß, unterschiedlich empfin-
den. Infolgedesen wird es glücklich oder unglücklich sein, und
je nach den Eigenschaften der Empfindungen, die in ihm erregt
werden, wird es die realen oder angenommenen Ursachen der
Wirkungen, die sich in seiner Maschine vollziehen, lieben oder
fürchten, suchen oder fliehen. Aber wenn es unwissend oder
unerfahren ist, so wird es sich in bezug auf diese Ursachen täu-
schen, es wird nicht bis zu ihnen vordringen können, es wird
weder ihre Energie noch ihre Wirkungsart erkennen, und so-
lange sein Urteil noch nicht durch wiederholte Erfahrungen
gefestigt ist, wird es im Unklaren und im Ungewissen bleiben.
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